Freitag, 15. Juni 2007
Der Prozess - Klarheit im Absurden
Ein schwarzer Klapptisch, ein schlichter Stuhl und eine Schreibtischlampe: In dieser nüchternen Umgebung nimmt Philipp Hochmair, in einem strengen schwarzen Anzug, Platz und beginnt aus Franz Kafkas „Der Prozess“ zu lesen. Er agiert dabei gleichzeitig als Erzähler und Schauspieler. Jedem Charakter verleiht der erfahrene Theater- und Fernseh-Darsteller durch die Modulation seiner Stimme, Gestik und Mimik Individualität. Er schlüpft im einen Moment in die Rolle des Josef K., nur um im nächsten wieder die Distanz des Berichterstatters einzunehmen, ohne dass ein Übergang bewusst wahrzunehmen wäre.
Um die Surrealität des Geschehens um einen Bankangestellten, der ohne Vergehen verhaftet und angeklagt wird, noch klarer zu machen, zeigt Hochmair an bestimmten Stellen Dias, deren Inhalt jedoch nicht zum vorgelesenen Text passt und diesen dadurch ad absurdum führt. Eine Untersuchungskommission wird zu einem fröhlichen Stelldichein im Biergarten und ein voll gestelltes Wohnzimmer besteht nur aus kahlen Wänden. Die Aufhebung der Logik bekräftigt die Sinnlosigkeit der Suche nach einer Schuld und unterstreicht die beunruhigende Frage, ob Gerechtigkeit überhaupt Schuld braucht.
Die Justiz hat Josef K. am Wickel, weil er selbst es zulässt. Der Prozess wird zum bestimmenden Element in seinem Leben. Er gibt dem Verfahren mehr Gewicht und Raum, als dieses selbst in Anspruch nimmt, denn trotz seiner Verhaftung darf K. sein Leben wie gehabt weiterführen. Immer tiefer gerät er in die Mühlen der Justiz und der undurchdringlichen Bürokratie. Am Ende ist er seinem Schicksal so ergeben, dass er nicht einmal zu seiner Hinrichtung geführt werden muss, sondern seinen Wächtern sogar voraus läuft und damit eine Schuld eingesteht, die nicht vorhanden ist.
Angesichts der Sperrigkeit von Kafkas Roman ist es die zwingende Präsenz Philipp Hochmairs, die bis zum Schluss die Aufmerksamkeit des Publikums aufrechterhält. Er lotet das Spannungsfeld zwischen der Absurdität der Handlung und der sachlichen, gerichtsmäßigen Sprache des Romans aus. Seine angenehm sonore Stimme hallt im Ohr des Zuhörers nach und dringt in dessen Bewusstsein. Es gelingt Hochmair, Kafkas komplexen Sprachstil eine klare Struktur und einen fesselnden Rhythmus zu verleihen. Dabei hat er stets ein süffisantes Lächeln auf den Lippen, als wolle er beim Publikum das Wissen um das Absurde und Surreale der Geschichte wach halten. Einen ähnlichen Effekt haben seine übertrieben ausdrucksstarken Gesten: Er rauft sich die Haare, zieht immer wieder am Knoten seiner Krawatte, brüllt wild herum, blickt gehetzt um sich.
Es ist deutlich erkennbar, dass Hochmairs Version von „Der Prozess“ ursprünglich ein Hörspiel war. Der Verzicht auf Kulissen und der sparsame Einsatz von Requisiten legen den Fokus auf den akustischen Aspekt. Doch Hochmairs Fähigkeit, mit wenigen Mitteln große Effekte zu erzeugen, verhindert, dass die Darbietung zu einer Erzählstunde verkommt, und macht den schweren Stoff überraschend greifbar.

Text: Stefanie Marsch

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