Freitag, 15. Juni 2007
Interview | Entrevue Heddy Maalem
FZ: Wie war Ihr Werdegang?
Maalem: Ich bin 56 Jahre alt, aber erst mit 28 Jahren zum Tanz gekommen. Als ich 1989 meine Theaterkompanie gegründet habe, war ich schon fast 40 Jahre alt. Während meines Studiums orientalischer Sprachen interessierte ich mich für alles, was mit sportlicher und körperlicher Betätigung zu tun hat, zum Beispiel Boxen und Aikido. Nach dem Studium war ich zunächst Aikido-Lehrer. Von den orientalischen Sportarten aus bin ich dann zum zeitgenössischen Tanz gekommen. Die Leidenschaft, die das Schreiben und Kreieren eigener Körpersprachen auslöst, hat mich magisch angezogen.

FZ: Was sind die Besonderheiten Ihrer Arbeit?
Maalem: Ich war immer ein Querschießer, aber selbst wenn mein Lebenslauf ein wenig chaotisch erscheinen mag, ist er in sich stimmig. Ich denke, dass ich inzwischen den Status eines unabhängigen Choreographen erreicht habe. Allerdings stehen Choreographen nur wenig Mittel zur Verfügung. Das ist die andere Seite der Medaille. Dennoch ist unsere Kompanie sehr gefragt. Das sind Gelegenheiten, die sich bieten und die man ergreifen muss. Wenn man nicht in feste Institutionen eingebunden ist, ist es unumgänglich, kreativ zu sein. Man muss aber auch Glück haben.

FZ: Können Sie die uns den Bezug zwischen „Black Spring“, das Sie 2000 inszeniert haben, und „Le Sacre du Printemps“ erklären?
Maalem: Der Zusammenhang ist zufällig entstanden. Ein Freund hatte mir geraten, einen Workshop in Lagos in Nigeria zu veranstalten, das dortige Potential zu nutzen. Ich wollte gerne mit Strawinskys „Sacre“ arbeiten, hatte aber ein wenig Angst vor der großen Herausforderung. Deshalb habe ich mich für eine andere Inszenierung entschieden und diese „Black Spring“ genannt. Vier Jahre später, als ich schon einige Erfahrung mit afrikanischem Tanz hatte, habe ich dann die Möglichkeit genutzt, „Sacre“ zu choreographieren. Ich wollte nicht einfach nur den soundsovielten „Sacre“ inszenieren, sondern suchte einen einzigartigen Ansatz. Und afrikanischer Tanz erlaubt es, ganz andere Facetten des menschlichen Körpers und der Andersartigkeit zu zeigen.

FZ: Gingen Sie das Werk eher mit Ehrgeiz oder mit Respekt an?
Maalem: Beides. Einerseits muss man bescheiden sein, weil man vom Gewicht schon bestehender, berühmter Choreographien – wie der von Pina Bausch und von Maurice Béjard – erdrückt wird. Es gibt sonderbare „Sacre“-Choreographien, die die Musik, dieses Totem der abendländischen Kunst, missverstehen. Man muss das Stück in seiner ganzen Länge betrachten, denn sonst kann man schöne Bilder schaffen, die aber nicht durch das ganze Stück tragen. Den afrikanischen Kontinent, wo man noch viel tanzt, für das Stück zu wählen, bedeutete auch, zwei Welten zusammenzubringen.

FZ: Kannten die Tänzer die Musik?
Maalem: Nur zwei von ihnen. Ich habe ihnen eine CD gegeben, die sie eher skeptisch aufgenommen haben. Nach und nach haben sie die Musik mit ihrem Körper lieben gelernt, ohne dass ihnen jemand gesagt hätte, Strawinsky sei genial oder dass sie vor seiner Musik niederknien sollten. Daran Teil gehabt zu haben, war ein großer Moment.

FZ: Wie ist das Verhältnis von Improvisation und Komposition im „Sacre“?
Maalem: Die Choreographie ist ein permanenter Austausch mit den Tänzern, eine Reise mit Pannen. Man stürzt einen Hang hinunter und man wird ihn nicht wieder erklimmen. Das ist eine schöpferische Bewegung, die sich nicht aufhalten lässt. Die Bühne ist manchmal ein Mysterium.

FZ: Was bedeutet die Arbeit an Sacre du Printemps für Sie?
Maalem: Es ist ein Abenteuer. Ein hoher Einsatz von Energie und viel Angst vor einer allzu kritischen Rezeption, wie sie in unserem „lieben“ Frankreich oft vorkommt. Man hat mich auf das Exotisch-Fremdartige festgelegt. Nach und nach hat sich das Stück aber durchgesetzt. Wir haben es noch nicht in Afrika aufgeführt, denn die Infrastrukturen sind dort nicht ausreichend; aber wir könnten unter freiem Himmel spielen wie in Châteauvallon in der Provence.

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