Mittwoch, 13. Juni 2007
Unter Eis - Erfroren im System
perspectives, 19:03h
Früher war Paul Niemand einmal jemand. Ein Mann, dessen Worte Gewicht hatten, dessen Taten einen Unterschied machten: ein gewiefter Unternehmensberater. Doch jetzt, Mitte 40, droht Niemand tatsächlich ein Niemand zu werden. Er hat den Biss verloren. Anstatt im Strom des Lebens oben auf zu schwimmen, wird er nur noch mitgerissen. Stillstand ist ein Rückschritt, das weiß er ganz genau. Und die jüngeren Kollegen sitzen ihm bereits im Nacken. Sie traktieren ihn mit den Beraterweisheiten, die Niemand Jahre lang selbst wie ein Lebenscredo auf den Lippen führte, denen er heute jedoch nicht mehr gerecht wird.
Das Bühnenbild im nüchternen Eurobahnhof passt zur Atmosphäre des Geschehens: kaltes blaues Licht, ein glatt polierter Konferenztisch, schwarze Lederstühle, sonst nichts. Falk Richters Stück "Unter Eis", das die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz bei Perpectives zeigt, erzählt die Geschichte eines Mannes, der von seiner Vergangenheit eingeholt wird. In stakkatoartigen Monologen ohne Punkt und Komma – nur kein Wort zu viel, immer der effiziente Geschäftsmann – rekapituliert Niemand seine Kindheit als Außenseiter und sein bisheriges Leben. Es handelt sich mehr um wirre Impressionen als um zusammenhängende Erzählungen, in denen das Motiv des Erstarrens in Eis im Zentrum steht. Thomas Thieme verkörpert Paul Niemand mit effektvollem Minimalismus. Er sitzt fast das ganze Stück über auf seinem Stuhl, verzichtet überwiegend auf Gestik und Mimik. Allein durch die Modulation seiner Stimme, mal ruhig und monoton, mal laut und emotionsgeladen, verleiht er Niemand sein Profil.
"Kalt, kalt, kalt! Schnee, Schnee, Schnee! Eis, Eis, Eis!", rattert Niemand herunter. Das skurrile Bild einer erfrorenen Katze unter der Eisdecke eines Flusses wird zum immer wiederkehrenden Symbol für seine Gefühlswelt. Gegen die Kälte hat er sein Leben lang angekämpft – und zwar mit eigener Kälte. Ohne mit der Wimper zu zucken, empfahl er die Entlassung von Mitarbeitern. Er hat keine Frau, keine Kinder und auch keine Freunde. Doch jetzt fühlt Niemand, wie der Mantel der Kälte ihn allmählich lähmt. Die jungen Kollegen attestieren ihm nur noch eine Effizienz von 45 Prozent. Am Ende wird er Opfer eines Systems, das er selbst viele Jahre lang gelebt und geprägt hat. Die Ironie seines Schicksals bringt Niemand treffend auf den Punkt: „Ich habe den Plan entworfen, um mich zu entlassen.“
Doch "Unter Eis" ist keine Tragödie. Vielmehr ist es eine gnadenlose und äußerst unterhaltsame Persiflage der gefühlskalten Geschäftswelt mit ihren inhaltslosen Floskeln und Fremdwörtern. Mark Waschke und André Szymanski in den Rollen der aufstrebenden Karrieremänner treiben die Verwendung von Anglizismen ins Absurde und lassen den Geschäftsmann zum Komiker werden. Die Dreistigkeit der Überspitzung steigert sich jedoch ganz allmählich soweit, dass selbst politisch unkorrekte Äußerungen über Arbeitslose oder die Ausbootung unerwünschter Mitarbeiter keine Empörung mehr hervorrufen. Dadurch wird der gesellschaftskritische Ansatz relativiert. Schade auch, dass das Stück zum Ende hin in eine Parodie abdriftet: Waschke und Szymanski werfen ihre Kleider von sich, suhlen sich in auf dem Tisch verstreuten Eiswürfeln und zeigen Einlagen aus einer firmeninternen Tanzaufführung. "Unter Eis" hat dieses überspitzte Finale eigentlich nicht nötig, denn die "Message", wie man so schön neudeutsch sagt, ist dann längst angekommen.
Text: Stefanie Marsch
Das Bühnenbild im nüchternen Eurobahnhof passt zur Atmosphäre des Geschehens: kaltes blaues Licht, ein glatt polierter Konferenztisch, schwarze Lederstühle, sonst nichts. Falk Richters Stück "Unter Eis", das die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz bei Perpectives zeigt, erzählt die Geschichte eines Mannes, der von seiner Vergangenheit eingeholt wird. In stakkatoartigen Monologen ohne Punkt und Komma – nur kein Wort zu viel, immer der effiziente Geschäftsmann – rekapituliert Niemand seine Kindheit als Außenseiter und sein bisheriges Leben. Es handelt sich mehr um wirre Impressionen als um zusammenhängende Erzählungen, in denen das Motiv des Erstarrens in Eis im Zentrum steht. Thomas Thieme verkörpert Paul Niemand mit effektvollem Minimalismus. Er sitzt fast das ganze Stück über auf seinem Stuhl, verzichtet überwiegend auf Gestik und Mimik. Allein durch die Modulation seiner Stimme, mal ruhig und monoton, mal laut und emotionsgeladen, verleiht er Niemand sein Profil.
"Kalt, kalt, kalt! Schnee, Schnee, Schnee! Eis, Eis, Eis!", rattert Niemand herunter. Das skurrile Bild einer erfrorenen Katze unter der Eisdecke eines Flusses wird zum immer wiederkehrenden Symbol für seine Gefühlswelt. Gegen die Kälte hat er sein Leben lang angekämpft – und zwar mit eigener Kälte. Ohne mit der Wimper zu zucken, empfahl er die Entlassung von Mitarbeitern. Er hat keine Frau, keine Kinder und auch keine Freunde. Doch jetzt fühlt Niemand, wie der Mantel der Kälte ihn allmählich lähmt. Die jungen Kollegen attestieren ihm nur noch eine Effizienz von 45 Prozent. Am Ende wird er Opfer eines Systems, das er selbst viele Jahre lang gelebt und geprägt hat. Die Ironie seines Schicksals bringt Niemand treffend auf den Punkt: „Ich habe den Plan entworfen, um mich zu entlassen.“
Doch "Unter Eis" ist keine Tragödie. Vielmehr ist es eine gnadenlose und äußerst unterhaltsame Persiflage der gefühlskalten Geschäftswelt mit ihren inhaltslosen Floskeln und Fremdwörtern. Mark Waschke und André Szymanski in den Rollen der aufstrebenden Karrieremänner treiben die Verwendung von Anglizismen ins Absurde und lassen den Geschäftsmann zum Komiker werden. Die Dreistigkeit der Überspitzung steigert sich jedoch ganz allmählich soweit, dass selbst politisch unkorrekte Äußerungen über Arbeitslose oder die Ausbootung unerwünschter Mitarbeiter keine Empörung mehr hervorrufen. Dadurch wird der gesellschaftskritische Ansatz relativiert. Schade auch, dass das Stück zum Ende hin in eine Parodie abdriftet: Waschke und Szymanski werfen ihre Kleider von sich, suhlen sich in auf dem Tisch verstreuten Eiswürfeln und zeigen Einlagen aus einer firmeninternen Tanzaufführung. "Unter Eis" hat dieses überspitzte Finale eigentlich nicht nötig, denn die "Message", wie man so schön neudeutsch sagt, ist dann längst angekommen.
Text: Stefanie Marsch
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