Mittwoch, 13. Juni 2007
Le Feu: Rennen ums Leben
Das Publikum findet sich im engen, diffus beleuchteten Laderaum des Theaterschiffs „Maria-Helena“ wieder. Der Ort passt gut zur beklemmenden Atmosphäre des Schlachtfeldes, in die einen „Le Feu“ vom ersten Moment an versetzt.
Guillaume Gillet ist Henri Barbusse, ein französischer Intellektueller, der Zeugnis ablegt über seine Erlebnisse in den wahnsinnigen Sturmangriffen des Ersten Weltkriegs. Auf seinem Kriegstagebuch „Le Feu“ basiert diese Adaptation von Delphine Jayot. Es ist der Monolog eines Soldaten, der zwischen französischem und deutschem Schützengraben um sein Leben rennt: „Allons, en avant!“
Und so wird die Bewegung zum zentralen Motiv der Inszenierung. Gillet steht auf einem hölzernen Podest, ein für den Zuschauer unsichtbares Laufband treibt ihn auf den feindlichen Graben irgendwo hinter dem Zuschauerraum zu und lässt ihn doch nicht von der Stelle kommen.
60 Minuten lang lässt Regisseur Balazs Gera seinen Protagonisten ängstlich, wie in Zeitlupe sich vorantasten in der Totenstille vor dem Sturm, er lässt ihn schneller laufen angesichts der Granateneinschläge des Feindes, atemlos und keuchend vorwärts jagen in der Todesangst unter dem Kugelhagel der Deutschen.
Barbusse beschreibt diesen fürchterlichen Angriff, der zum Lauf um das eigene Leben wird, mit einer ebenso vorantreibenden Sprache: „En avant“ – vorwärts. Und auch die physische Erschöpfung des Schauspielers, seine Atemlosigkeit schlägt sich in der Stimme nieder in diesem Angriff auf die „Sales Boches“, die Dreckigen Deutschen.
Und doch ist das Thema nicht der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland. Das wird spätestens dann klar, als Gillet seinen blauen Uniformmantel vor sich wirft und in verschwitztem Hemd und grauer Flanellhose weiter rennt – irgendein Soldat an irgendeinem Ort zu irgendeiner Zeit.
Barbusse taumelt schließlich in totaler Erschöpfung weiter: Der starr in die Ferne gerichtete Blick schweift ab, der Soldat schließt die Augen und läuft und läuft und läuft und läuft.
Und auch der Zuschauer schweift ab, denn die Inszenierung bietet in ihrem Fokus auf die Bewegung kaum Variationen. So kommt es trotz der – auch sportlich – beeindruckenden Leistung Guillaume Gillets zu einigen Längen. Die komplexe lyrische Sprache Barbusses, atemlos und gehetzt vorgetragen, erschwert außerdem das Textverständnis.
Nach einer Ewigkeit erreicht Barbusse den rettenden Schützengraben. Doch es ist klar: Der nächste Angriff steht bevor, und das Rennen um das Leben scheint niemals enden zu wollen.

Text: Hannah Kabel

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